Die Ema.Li München hat auf der Kundgebung gegen die Sicherheitskonferenz am 19.02.2017 folgende Rede gehalten:
Aussichten auf einen emanzipatorischen Antimilitarismus
Liebe Anwesende,
es ist schön zu sehen, dass ihr den Weg zu unserer Kundgebung gefunden habt, um gemeinsam mit uns gegen die Sicherheitskonferenz zu protestieren. Wie im Aufruf bereits formuliert, handelt es sich um eine undemokratische Veranstaltung, die unter anderem von deutschen Rüstungsfirmen organisiert wird und an der hinter verschlossenen Türen Regierungen teilnehmen, die sich auf dem öffentlichen politischen Parkett meiden; man denke nur an das Verhältnis zwischen der US-amerikanischen und der iranischen Regierung, deren Vertreter auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz zugegen sind. Auch wenn es aufgrund ihrer Intransparenz unmöglich ist, Aussagen darüber zu treffen, worüber auf der Konferenz gesprochen wird, ist in Anbetracht der Organisatoren und Sponsoren die Spekulation nicht unbegründet, dass insbesondere der Handel mit Waffen und Technologien, die militärisch nutzbar sind, betrieben wird – und das nicht zuletzt mit so reaktionären und autoritären Regimen wie dem iranischen oder dem saudi-arabischen.
Da jedoch eben die nötigen Einblicke fehlen, möchte ich weniger über die Sicherheitskonferenz als solche sprechen, als die Frage aufwerfen, wie ein emanzipatorischer und progressiver Antimilitarismus aussehen könnte. Um eines vorwegzunehmen: Eine Lösung habe ich nicht parat, hoffe aber bei euch Denkanstöße und Reflexionen hierüber auslösen zu können. Letztlich befindet sich die linke Bewegung hierbei in einem Dilemma. Einerseits muss sie den Zusammenhang zwischen Militarismus und ihren ökonomisch-materiellen wie auch ideologischen Ursachen in den Blick nehmen, womit sie an einer radikalen Kritik an den kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen nicht vorbei kommt – andererseits gleichzeitig aber auch anerkennen, dass sich die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht über Nacht überwinden lässt, weshalb sie darauf angewiesen ist, systemimmanente Lösungen zu entwickeln und anzubieten, um Menschen zu beschützen und die gewaltsame Eskalation von Konflikten zu vermeiden. Die Frage stellt sich, wie wir die leider begrenzten Handlungsspielräume im Kapitalismus für eine progressive Politik nutzen können, ohne den Blick auf die Transformation in eine befreite Gesellschaft zu verlieren, in der Gewalt der Vergangenheit anzugehören hat.
Zunächst möchte ich auf den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Militarismus eingehen. Wie so viele Phänomene in unserer modernen, globalen Gesellschaft, ist auch das Problem militärischer Gewalt kein rein moralisches, sondern auch ein strukturelles. Unsere Wirtschaftsordnung beruht auf der Konkurrenz privater Unternehmen, die von der abstrakten Herrschaft des Kapitals gezwungen sind, zum Zwecke der Profitmaximierung aus Wert mehr Wert, aus Geld mehr Geld zu machen. Hierfür ist es notwendig, aus der Verausgabung von Arbeit möglichst viel an Wert für den Tausch herauszupressen. Die Folgen sind bekannt: Armut, Entfremdung, Umweltzerstörung, eine ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums, Ausbeutung von Mensch und Natur.
Der Staat stellt hierbei jedoch kein Moment dar, das dem Kapital äußerlich wäre, sondern ist ihm vielmehr immanent. Zu seinen Funktionen zählen auch der Schutz des Privateigentums und die Regulierung der Rahmenbedingungen für einen möglichst reibungslosen Prozess der Wertverwertung und der Kapitalakkumulation; gleichzeitig profitiert der Staat von den Profiten jener Unternehmen, deren Sitze sich im Staatsgebiet befinden, da er durch die Besteuerung von Unternehmern wie Arbeitern vermittelt finanziert wird. So ist es auch kein Zufall, dass der moderne Staat zeitgleich mit der Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise im neunzehnten Jahrhundert entstanden ist. Militärische Konflikte sind im kapitalistischen System einerseits die zwingende Konsequenz, weil es im Interesse aller Staaten liegt, auf Kosten anderer Staaten, ihrer Arbeitskräfte und natürlichen Ressourcen Wert zu verwerten und Kapital zu akkumulieren; andererseits aber auch, weil die Vergesellschaftung der Subjekte durch Arbeit und Tausch Ideologien, „notwendig falsches Bewusstsein“, um die Kritische Theorie zu zitieren, erzeugt, die die Hintergründe dieser Vergesellschaftung verschleiern und zugleich ursächlich für militärische Auseinandersetzungen sind, die nicht immer unmittelbar ökonomisch motiviert sein müssen, sondern zutiefst irrational sind.
Kein Zweifel: Solange wir im Kapitalismus leben, werden wir mit militärischen Konflikten und gewaltsamen Auseinandersetzungen konfrontiert sein. Oder frei nach Max Horkheimer: Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Militarismus schweigen. Heißt das, dass wir uns dann bequem zurücklehnen und auf die Weltrevolution warten sollten? Ohne eine endgültige Antwort geben zu können, bin ich von der Existenz gewisser Handlungsspielräume innerhalb unserer herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung überzeugt. Ich halte es nicht für zwingend, Waffen an ein Regime wie dem saudi-arabischen zu verkaufen, das sich nicht scheut, sie im Jemen einzusetzen. Ebenso wenig zwingend ist es, eine Technologie an das iranische Regime zu verkaufen, damit es langfristig eine Atombombe entwickeln kann, während es gleichzeitig regelmäßig dem jüdischen Staat Israel das Existenzrecht abspricht. Ich halte es für möglich, im Rahmen der bestehenden Verhältnisse ein Verbot für Rüstungsexporte zu fordern und dieses politisch auch umzusetzen. Für genauso möglich halte ich es, ein Verbot privater Sicherheits- und Militärunternehmen zu fordern, die ohne staatliche Kontrolle, aber im Auftrag staatlicher Regierungen Kriegsgefangenenlager betreiben und Kriegshandlungen technisch und logistisch unterstützen. Und nicht zuletzt halte ich es für möglich, von der Sicherheitskonferenz zu fordern, die Ergebnisse ihrer Beschlüsse transparent zu machen und auf die Finanzierung durch öffentliche Gelder zu verzichten, wenn es sich schon um eine privat organisierte Veranstaltung handelt. Letztendlich ist das nur eine willkürliche Auswahl aus einem Fundus real existierender Missstände, die schon längst behebbar wären.
Leider gestattet mir die kurze Redezeit nicht, all diese Gedanken so auszuformulieren, dass ich ein durchdachtes und formvollendetes Lösungskonzept anbieten könnte. Ich hoffe jedoch, auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht zu haben, eine radikale Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen mit einer, wenn man so will, „pragmatischen“ Politik im Hier und Jetzt zu kombinieren. Zudem hoffe ich, durch diese knappen Stichpunkte Reflexionen und Diskussionen über einen emanzipatorischen und progressiven „Antimilitarismus“ auslösen zu können. Auf dass es langfristig keine Sicherheitskonferenz mehr geben wird und wir unsere Zeit statt mit stundenlanger Kälte mit Müßiggang verbringen können. Dankeschön.